gletschertier
sabine harbeke
wohlig ausgestreckt liegst du da
einladend
selbstverständlich
bezaubernd
denke ich
noch bin ich nicht bereit
schauen reicht
dein rücken:
leicht gekräuselt
wohlig
ausgebreitet in der sonne
liegst du da
und lädst mich ein - ich
weich weicher als erwartet
ich sinke in dich ein
ich bin überrascht
ängstlich nicht
ich könnte versinken
du könntest mich schlucken
still - ohne zu zucken
mich
wie jede andere
wie jeden anderen
wie viele schon
wie viele noch
doch du tust es nicht
nicht heute
dein rücken wölbt sich ins blau
dein bauch liegt im felsbett
labt sich an den glatten steinen
die du unermüdlich schleifst und kratzt
wie es dir gefällt
du zeichnest mit den stiften der zeit
hinterlässt spuren
versammelst, speicherst seelen
und birgst tote
streckst du deine zunge aus
weit ins tal
dann geht es dir gut
wie ein hund
hechelst du
lächelst du?
du
speicherst wasser
spendest wasser
die sonne wärmt
du taust
brichst ab
stürzt hinab
begräbst -
häuser
bauarbeiter
tiere
mütter
kinder
noch bin ich nicht da
noch bin ich nicht im tal
noch bin ich inmitten deiner sanftheit
auf deinem rücken
der sich wellt,
noch immer kräuselt
der sich dühnt und dehnt
wie die see, deine grosse schwester
die dich nährt und von dir zehrt
die du nährst und von ihr zehrst
und du bewegst dich
leise, sehr leise
ich bleibe stehen und lausche
höre die stille deines fliessens
spüre, wie du mich trägst
mich bewegst, mich fortbewegst
spüre, wie ich mit dir fliesse
jetzt
faltest du dich und wirfst dich auf
zerklüftet und zerfurcht
der angrenzende fels
reibt sich
reisst dich
furchterregend
nicht in diesem moment
doch unerwartet bald
die zunge rollst du ein
ziehst sie zurück in deinen schlund
entblösst die feingestrahlten glatten steine
dein bett
dein bett gibst du preis
dein glattes
zartes bett
das niemand je sehen sollte
du schreist nicht
du heulst nicht
beisst auf die zähne
ziehst dich zurück
entziehst den steinen,
den felsen den halt
laut fallen sie hinab
fallen durch die nacht, unaufhörlich
dunkle brocken
schlagen wunden und löcher in deine flanken
du blutest nicht
wimmerst du?
deine tage sind gezählt
das weisst du wie ich
oder nicht?
du leckst dir die lippen
ziehst die zunge zurück
rollst sie ein
in deinen mund
in deinen schlund
weiter
in deinen rachen
weiter zurück
zurück
zurück in den hellroten magen
zurück in deinen kalten bauch
und du leckst dir deine gedärme
damit der tod weniger schmerzt
doch
er schmerzt
er schmerzt
unwiderruflich
mit einer klarheit die beschämt
die krallen weit oben in den bergen
halten dich
noch
rutschen ab
suchen halt
suchen
rutschen
sehen
wie dein gigantischer körper
verkümmert, vergeht
unweigerlich schwindend
sich auflöst
laut tosend
zeigst du deine ganze kraft
schüttest dich ins tal
in den fluss
in die see
vereinigst dich
noch einmal
ein letztes mal